Melanie Sandrock beim Verlassen der Fähre an der Dampferbrücke
Perspektivwechsel: Nur bei mittlerer Tide auf die Fähre
Wer auf Finkenwerder lebt, kennt die Elbe mit all ihren Besonderheiten. Sei es, wie sich die auf- oder untergehende Sonne im Wasser spiegelt, sie den Himmel verfärbt oder die Elphi scheinbar zum Glühen bringt. Oder sei es, wie der Strom den Blick auf den grauen Schlick bei Niedrigwasser freigibt oder bei Hochwasser das Land umspült.
Seit über dreißig Jahren lebe ich auf Finkenwerder und kenne die Elbe zu jeder Tages- und Jahreszeit. Mit vielen anderen Menschen, die hier leben, habe ich bis vor kurzem einen der schönsten Arbeitswege teilen dürfen. Mit „unserem Dampfer“ und Fahrrad rüber nach Hamburg, dann am Hafen entlang und weiter durch die Speicherstadt.
Seit wenigen Monaten muss ich diesen traumhaften Arbeitsweg gegen den Bus tauschen, der im Stau stecken bleiben kann und mir einen Blick auf die Kacheln im Elbtunnel und bunte Blechlawinen aus PKWs und LKWs schenkt. In Altona geht es im stinkenden Fahrstuhl weiter, runter auf den dreckigen Bahnsteig. Wenn der Fahrstuhl in Altona oder der an meinem Zielbahnhof kaputt ist, muss ich mit dem Bus weiterfahren, was meinen Arbeitsweg deutlich verlängert. Da sich das aber nicht voraussagen lässt, dafür öfter vorkommt, fahre ich so zeitig los, dass ich – wenn alles glatt läuft – eine Stunde zu früh bei der Arbeit bin.
Mein Ziel ist geblieben, nur bei mir hat sich etwas verändert. Aufgrund einer MS-Erkrankung bin ich derzeit auf einen Rollstuhl angewiesen.
Bei Niedrigwasser ist in Finkenwerder die Brücke zum Ponton zu steil, bei Hochwasser komme ich ohne Hilfe in meinem Rollstuhl immerhin bis fast auf den Ponton. Allerdings nur fast. Denn das letzte Stück, die von allen gehasste Metallplatte, die bei Nässe und im Winter aufgrund ihrer unberechenbaren Glätte schon viele zu Fall gebracht hat, ist bei Hochwasser ebenfalls so steil, dass ich den Ponton mit meinem Rollstuhl nicht unbeschadet erreichen kann. Aber immerhin, bei mittlerem Tidenstand gelange ich auf den Ponton. Wenn nun eines der neuen Schiffe anlegt, habe ich Glück, denn dann schaffe ich es auch noch, an Bord zu kommen.
Trotzdem haben alle Schiffe und Pontons ihre eigenen Tücken, die sich einem Menschen im Rollstuhl bieten. Das führt für mich dazu, dass ich den Dampfer zwar in Begleitung nach wie vor nutze, ich es mir allein aber nicht wirklich zutraue. Und so nehme ich notgedrungen nur, wenn der Elbtunnel dicht ist und der 150er seine Fahrten einstellt, das Schiff auch ohne Begleitperson. Dann bin ich je nach Tidenstand und Fähre auf die Hilfe Fremder angewiesen – was ich, wann immer möglich, vermeide.
Natürlich mache ich auch sonst jede Menge neue Erfahrungen. Ich begegne einerseits einer großen Hilfsbereitschaft, andererseits aber auch Unsicherheit, Ignoranz oder sogar Feindseligkeit. Glücklicherweise überwiegen die positiven Erfahrungen, leider brennen sich dafür die negativen besonders tief ins Gedächtnis. Jedenfalls möchte ich versuchen, etwas zu bewegen und für das Thema sensibilisieren.
Eine Möglichkeit, etwas zu verändern, habe ich darin gesehen im „Forum Fähre Finkenwerder“ einer Initiative, die sich bereits seit 2019 für eine Verbesserung des Fährverkehrs engagiert und bei der ich von Beginn an beteiligt war, von meinen Erfahrungen zu berichten. Sofort kam es zu einer Diskussion zum Thema Barrierefreiheit, aus der jede Menge Ideen entstanden. Nicht nur für Rollstuhlfahrer, denn es fehlen auch Haltegriffe für Menschen, die sich auf dem schwankenden Schiff unsicher fühlen, Blindenleitsysteme auf dem Ponton und den Schiffen und rutschfeste Bodenbeläge im Eingangsbereich, um nur einige Punkte zu nennen.
Im Forum wurden jede Menge Verbesserungsvorschläge gesammelt, es folgte ein Brief an den Vorstandsvorsitzenden Dr. Haack von der Hadag, den wir um ein Gespräch baten. Tatsächlich bekamen wir einen zeitnahen Terminvorschlag. Auch als wir darum baten, Herrn Becker, einen fachlich mit dem Thema Barrierefreiheit vertrauten Berater des Kompetenzzentrums für ein barrierefreies Hamburg, zu dem Gespräch einladen zu dürfen, zeigte er sich offen. Zu unserem Treffen am 09. Juni 2023 gesellte sich schließlich noch die Fachreferentin und Senatskoordinatorin für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, Anne Binder, um sich die Problematik vor Ort ansehen zu können. So konnte ich zeigen, wie ich versuche, am Fischmarkt von Bord zu rollen. Es hat funktioniert – aber nur, weil ich einen E-Motion Rollstuhl mit elektrischer Unterstützung in den Rädern habe und ich mich zusätzlich am Geländer langhangeln konnte. Einem Menschen ohne die nötige Kraft im Rumpf und in den Armen wäre das nicht möglich gewesen.
Anschließend ergab sich auf dem Ponton ein konstruktives Gespräch, bei dem uns mitgeteilt wurde, dass die im Bau befindlichen Fähren, deren Einsatz im Lauf des nächsten Jahres geplant ist, bereits sehr vielen unserer Anregungen gerecht werden. Maßnahmen, die sich bewähren, sollen danach schrittweise auf den vorhandenen Fähren umgesetzt werden.
Allerdings bleibt damit immer noch die Hürde, überhaupt auf die Schiffe zu gelangen. Unsere Vorschläge zur Barrierefreiheit auf den Pontons wurden notiert, sie sollen an die zuständigen Stellen der HPA weitergeleitet werden.
Ich werde dranbleiben. Denn ich habe mir fest vorgenommen, mich für mehr Barrierefreiheit einzusetzen und für das Thema zu sensibilisieren, will aber auch in die Öffentlichkeit bringen, wenn sich etwas zum Positiven verändert. Melanie Sandrock